Lena

 

Dies ist unsere Geschichte.

 Die Geschichte einer großen Liebe. Ich möchte sie auf diese Art und Weise festhalten, weil ich Angst davor habe, dass diese Erinnerungen verloren gehen könnten.

Andererseits kann ich mir gar nicht vorstellen, dass dies alles jemals aus meinen Erinnerungen verschwinden könnte. Die Erinnerung an  m e i n   k l e i n e s   B a b y.

 

Eigentlich fing diese Geschichte schon viel früher an, schon vor dieser Schwangerschaft :

Unser 1.Kind Lara entstand einfach so. Wir hatten uns zwar vorgenommen Kinder zu bekommen, aber vorher hatten wir uns noch vorgenommen zu verreisen, zu heiraten usw. Um so größer war die Überraschung als ich plötzlich schwanger war.

Nach dem 1. Schock freuten wir uns riesig und die Hochzeit wurde halt einfach vorgezogen.

In den ersten 4 Monaten war mir ständig schlecht, doch danach ging es mir blendend.

Ich hatte keinerlei Probleme und ein absolutes Urvertrauen in meinen Körper, zu dem ich ansonsten eher ein gespaltenes Verhältnis hatte. Aus diesem Grunde entschlossen wir auch im Geburtshaus zu entbinden, ganz natürlich.

So wurde es dann auch : Ein überwältigendes Erlebnis. Laras Geburt war eine Wassergeburt, absolut unkompliziert und schön.

Heute habe ich dieses Urvertrauen verloren, vielleicht war auch einiges an Naivität dabei, das alles schon so laufen wird wie es sein soll. 

Nachdem Lara da war haben wir aus den verschiedensten Gründen hin und her überlegt, ob wir noch ein zweites Kind wollen. Irgendwann war der Kinderwunsch aber so groß, dass wir ab Juli/ August 2002 nicht mehr verhütet haben oder besser gesagt es darauf angelegt haben.

Im September 2002, während unseres Urlaubs, bin ich dann schwanger geworden. Wir kamen aus dem Urlaub zurück, ich war einige Tage über der Zeit und hatte das Gefühl schwanger zu sein.

Ich machte einen Schwangerschaftstest, mit zunächst negativem Ergebnis. Da ich es irgendwie nicht glauben konnte, bin ich dann doch zu meinem Frauenarzt gegangen. Das Blutergebnis bestätigte es dann. Ich war schwanger! Die Freude war groß.

 

Die nächste Ultraschalluntersuchung, die wegen eines defekten Gerätes nur über die Bauchdecke gemacht werden konnte, ergab, dass die Eizelle sich eingenistet hatte.

Bei der nächsten Untersuchung in der 8. Woche wurde mein Frauenarzt dann doch sehr still.

Es war kein Embryo zu erkennen, keine Herztöne, nichts. Es hatte sich über die Zellteilung hinaus scheinbar nichts weiterentwickelt.

Im Krankenhaus, in das ich zur Ausschabung eingewiesen wurde, war auch von einem sog. „Windei“ die Rede. Hörte sich für mich fast so an, als wenn da gar nichts groß gewesen wäre, eine Ansammlung von Zellen eben. Das war am 17.10.2002.

Ich war am Boden zerstört und bedauerte es sehr so vielen schon von der Schwangerschaft erzählt zu haben. Um so schlimmer empfand ich es jetzt von einer „ Fehlgeburt“ zu erzählen. Denn eigentlich wurde etwas aus mir „herausgeschabt“ und ist nicht von selbst gegangen.

Ich wußte nur, dass ich so schnell wie möglich wieder schwanger werden wollte. Doch durch die Hormonumstellung ging es mir erst mal recht schlecht.

Eigentlich sollten wir mindestens drei Monate warten bzw. einen kompletten Zyklus durchlaufen haben. Wegen meines körperlichen Zustandes haben wir dann doch noch einen Monat drangehängt.

Der nächste Zyklus begann am 10.01.2003. Dieses Datum werde ich wahrscheinlich nie vergessen. Ich weiß nicht wie oft ich danach gefragt wurde ( 1. Tag der letzten Regelblutung ), ebenso der errechnete Geburtstermin : 17.10.2003.

Das der 17.10. auch mein Ausschabungstermin war, ist mir erst viel später aufgefallen.

In diesem Zyklus bin ich jedenfalls sofort wieder schwanger geworden. Schon nach wenigen Tagen habe ich die Veränderungen in meinem Körper wahrgenommen und es geahnt. Ich habe mich nur nicht getraut es zu glauben. Aber auch mein Mann war sich dessen ziemlich sicher bevor ich überhaupt untersucht wurde, denn ich war nur noch müde und kaputt.

Am 11. Februar hatte ich dann sowieso einen Termin bei meiner neuen Frauenärztin, eigentlich zum Kennenlernen. Da es erst der 33.Zyklustag war und für sie für einen Urintest zu ungenau, wurde mir im Abstand von 2 Tagen Blut abgenommen.

Sowohl die Blutuntersuchungen, als auch ein eigener Test den ich voller Ungeduld gemacht hatte, bestätigten es : positiv !

Gott sei Dank. Hoffentlich klappt es dieses mal!!

Zu diesem Zeitpunkt war ich gesundheitlich schon etwas mit den Nebenhöhlen angeschlagen. Eine Woche später hat es mich dann richtig umgehauen. Nichts ging mehr. Ich lag im Bett und hatte seit Jahren erstmals wieder Fieber. Es war dieser heftige Fiebervirus, der zu diesem Zeitpunkt so viele mit Fieber ans Bett gefesselt hat.

Ich war total fertig und vor allem ängstlich und panisch wegen dem Baby in meinem Bauch. Wußte ich doch nicht, ob es ihm etwas ausmachen konnte. Die Schwangerschaft begann schon mit Zittern und heute bin ich der Meinung, dass hier der Ursprung allen Übels begann.

 

Anfang März, ich hatte mich gerade vom Virus erholt, der nächste Schock :  Wir hatten Verkehr miteinander als ich auf einmal feststellte, dass wir voller Blut waren. Ich hatte solche Angst und dachte nur : Jetzt ist alles wieder vorbei. Wir machten uns auf den Weg ins Krankenhaus, weil Wochenende war und auf dem Weg dorthin sah ich mich schon wieder auf dem Stuhl zur Ausschabung. Es konnte jedoch Entwarnung gegeben werden.

Die Blutung kam außerhalb vom stark durchbluteten Muttermund und war nicht schlimm. Mit dem Baby war alles in Ordnung. Der so ersehnte Herzschlag war deutlich zu erkennen. Es war die 7. SSW.

Mitte März zu Beginn der 10 Woche ging es dann weiter : Ich hatte ein wenig Blut verloren, jedoch ohne erkennbaren Grund.

Es hatte sich wohl ein wenig von der Plazenta gelöst wegen deren ungünstiger Lage ( Plazenta praevia) . Mir wurde gesagt, dass das in der Frühschwangerschaft öfter vorkommt und sich meist später gibt. Dem Baby ging es nach wie vor gut.

Ich musste mich schonen und durfte 2 Wochen nicht arbeiten gehen.

In meinen Gedanken wollte ich endlich die 12. Woche schaffen, so als eine Art Hürde, die es zu überwinden gilt um aus der gefährlichsten Zeit raus zu sein.

Anfang April hatte ich sie dann zwar erreicht. Aufatmen konnte ich für mich jedoch noch nicht, da die nächste Vorsorge erst für den 22. April vorgesehen war.

Außerdem bekam ich einen heftigen Magen Darm Virus, der mich abermals ans Bett fesselte. Erbrechen und Durchfall waren zwar nach 1-2 Tagen verschwunden, doch meine Erschöpfung und meine Kreislaufprobleme legten mich fast 2 Wochen lahm. Und dann immer diese Sorge, dass es dem kleinen Wurm in meinem Bauch schaden könnte.

 

Am 22. April war es dann endlich soweit. Ich war in der 15. SSW und alles war lt. Vorsorgeuntersuchung in Ordnung. Ich konnte aufatmen. Doch es sollte nicht für lange sein.

Dann kam der 20. Mai.

Dieses Datum und die 19. SSW werde ich ganz sicher nie vergessen. Ich hatte wieder einen Vorsorgetermin bei meiner Ärztin. Ich ging allein dorthin und war recht vergnügt. Es war ein schöner Tag, ich merkte schon seit einiger Zeit Kindsbewegungen und war stolz auf meinen Bauch. 

Nach der Untersuchung wurde wieder US gemacht. Mein Baby bewegte sich munter, doch Fr. Dr. Krämer stutzte, weil ihr der Herzschlag so langsam vorkam. Ich sollte mich von der Rückenlage auf die Seite legen, um festzustellen, ob sich etwas verändert. Doch es veränderte sich nichts.

Sie schickte mich erst einmal für zehn Minuten an die frische Luft. In dieser Zeit habe ich wohl gar nichts gedacht, sondern bin wie eine Marionette herumspaziert.

Als Fr. Dr. Krämer danach nochmals kontrollierte, hatte sich nichts verändert

Sie telefonierte erst einmal mit einem Kollegen mit besseren Geräten, zu dem ich auch gleich hinfahren sollte. Irgend etwas sei nicht in Ordnung und der könne das besser erkennen.

Ich kam mir vor wie im falschen Film.

Im Auto habe ich erstmal versucht meinen Michi zu erreichen, doch leider vergebens. Ich habe ihn unzählige Male angerufen und genau so oft verflucht, aber zu diesem Arzt musste ich dann alleine gehen.

Glücklicherweise kam ich dort relativ schnell dran. Der hat mich dann erst einmal den ganz normalen Kram gefragt, den man halt so fragt um seine Kartei zu beschriften. Ich dachte immer nur : Leg endlich los. Ich will wissen was los ist.

 

Dann die US. Er ermittelte eine Herzfrequenz zwischen 55 und 58 !!!

Normalerweise liegt sie so zwischen 120 und 140, also weniger als die Hälfte !!

Er könne auch keinen Vierkammerblick herstellen und vermute auch, dass irgend etwas mit der Blutzufuhr nicht richtig laufe.

Er könne mir hier leider nicht weiter helfen. Der geeignete Ansprechpartner sei hier das Klinikum, ein Dr. Schmidt, der auch eine gemeinsame Sprechstunde mit Kinderkardiologen führen würde.

Der Arzt war wirklich sehr nett und leitete soweit alles in die Wege. Er wünschte mir alles Gute.

„Im Mutterleib passiert ihrem Kind nichts“.

Ich musste nur noch raus aus dieser Praxis, nach Hause um meinen geliebten Michi endlich zu sehen. Ich weiß nicht mehr wie ich nach Hause gekommen bin, jedenfalls war er nicht da. Den Zettel, dass er laufen sei, habe ich natürlich nicht entdeckt, so dass ich direkt zu meinen Eltern musste um dort Lara abzuholen.

Dort bin ich als erstes meiner Mutter heulend um den Hals gefallen ( Lara habe ich erzählt ich habe Bauchschmerzen ) und habe irgendwie versucht zu erzählen was los ist. Mein Vater faselte direkt was davon, dass ich mir so was nicht antun soll. „ Wie, ich weiß doch gar nicht was los ist“ sagte ich nur und war sehr verletzt. Michi rief dann zwischendurch an, dass er jetzt zu Hause sei und ich sah nur noch zu, dass ich zu ihm kam.

Ich habe ihm alles geschildert und wir haben den restlichen Abend und die Nacht irgendwie rum bekommen. Erinnern kann ich mich nicht mehr daran. Wir standen einfach nur unter Schock.

 

Am nächsten Morgen waren wir dann direkt um 8 Uhr im Klinikum und mussten zum Glück nicht lange warten. Ich hatte solche Vorurteile gegen diesen „unpersönlichen großen Laden“. Dies sollte sich jedoch nicht bestätigen.

Zuerst waren wir mit einem Herrn Kagan allein beim US. Er hat unser Baby erst einmal von vorne bis hinten vermessen. Vor allem Hände und Finger wurden genau untersucht ( auf eventuelle Anzeichen von Down-Syndrom ). Alles war absolut normal entwickelt.

Als er uns fragte, ob wir das Geschlecht wissen wollten, haben wir im ersten Moment abgelehnt. Doch ich spürte, dass es mir – anders als bei Lara, bei der wir es bis zum Schluß nicht wussten – auf einmal sehr wichtig war es zu erfahren. Wir schauten uns an und wollten es erfahren. Es war ein Mädchen.

Zwischenzeitlich war Dr. Schmidt hinzugekommen und es wurde sich nun sehr gezielt das Herz angeschaut. Sie haben sehr lange untersucht und miteinander gefachsimpelt. Schließlich kam die niederschmetternde Diagnose :

 Das Baby hat einen schweren Herzfehler, wie schwer muss noch im Detail mit den Kinderkardiologen abgeklärt werden. Der Herzfehler ist so schlimm, dass es dem Baby auch schon im Mutterleib schlecht geht. Unternommen werden kann dagegen wahrscheinlich nichts. Wegen einer akuten Wasseransammlung ( Perikarderguß ) am Herzen wird es wahrscheinlich in Kürze im Mutterleib versterben....

Uns wurde noch dazu geraten eine Fruchtwasseruntersuchung vornehmen zu lassen, die für den nächsten Tag geplant wurde. Dann sollten auch die Kardiologen hinzugezogen werden. Es wurde sehr stark davon ausgegangen, dass hier ein Down-Syndrom vorliegt, da dies oft mit solch schweren Fehlern verbunden ist.

 

Wir sind dann nur noch raus aus diesen Räumen und mussten erst einmal sacken lassen, was uns da alles erzählt worden war.

Unser Baby wird wahrscheinlich sterben!!!   In meinem Bauch !!!  Es war einfach unbegreiflich.

Wir setzten uns in ein Cafe um unsere Gedanken zu sortieren, falls das überhaupt möglich war.

Es war alles absolut schrecklich.

Am nächsten Tag fuhren wir dann wieder ins Klinikum. Die Fruchtwasseruntersuchung wurde vorgenommen, dessen Ergebnis (als Schnelltest für die 3 häufigsten Störungen, eben auch Trisomie 21) bereits für den nächsten Tag erwartet wurde.

Schon auf der Hinfahrt spürte ich immer stärker dieses Gefühl: Egal was die dir heute erzählen, Down Syndrom oder sonst was, einen Abbruch dieser Schwangerschaft will ich nicht. Ich würde es als Abwenden von meinem kranken Baby empfinden.

Nach der Fruchtwasseruntersuchung kamen dann auch die Kinderkardiologen Dr. Neudorf und Dr. Nagel hinzu. Es wurde mindestens eine Stunde lang mein Bauch geschallt. Doch auch diese Ärzte konnten mir keine bessere Nachricht überbringen.

Das kleine Herzchen hatte nur eine große Herzklappe, die Gefäße zum Herzen schienen falsch angeordnet zu sein und das Hauptproblem, das sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht erklären ließ, war eine ausgeprägte Herzschwäche, die das Herz so langsam schlagen ließ. Uns wurde gesagt, dass zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nichts unternommen werden kann und selbst wenn es wieder Erwarten die Schwangerschaft überleben würde, die Chancen auch dann sehr schlecht stünden.

Irgendwie stand auf einmal das Thema Abbruch im Raum, obwohl es bisher noch keiner ausgesprochen hatte. Michi fing damit an sich vorsichtig zu erkundigen.

Fazit war, dass ich eine Indikation zum Abbruch hatte. In diesem Fall würde ich in eine andere Klinik überwiesen, die dann die Geburt einleiten würden. Diese würde unser Baby nicht überleben.

Unabhängig davon müsste ich jedoch sehr stark davon ausgehen, daß unsere Kleine bald im Mutterleib versterben wird. Auch dann müssten Wehen eingeleitet werden um diese Kind zu gebären.

Ich empfand alles in allem eine abartige Vorstellung.

Die Ärzte verabschiedeten uns erst einmal übers Wochenende um alles sacken zu lassen. Wir sollten am nächsten Tag nur telefonisch das Ergebnis des Schnelltests erfragen.

Da standen wir nun. Auch das letzte Fünkchen Hoffnung war nun weg.

Auf dem Weg zum Auto habe ich Michi schon angesprochen und gesagt, dass ich nicht glaube einen Abbruch vornehmen zu lassen. Das wäre für mich das Schlimmste.

Wir sind dann erst einmal nach Hause gefahren um nochmal allein miteinander zu sprechen.

Und wir waren uns – wie auch später immer wieder – sehr rasch einig.

Wir konnten uns nicht vorstellen zu bestimmen, wann das Leben dieses Kindes zu Ende sein soll. Diesen Zeitpunkt sollte es schon selbst bestimmen oder vielleicht eine höhere Instanz.

 

Die nächsten Tage waren geprägt von Telefonaten mit Familie und Freunden. Meine Frauenärztin gab mir das Buch „Gute Hoffnung, jähes Ende“, das sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Es sollte uns noch eine gute Stütze werden.

Freitags erhielten wir dann das vorläufige Ergebnis. Keine Chromosomenschädigung. Ich hatte aber auch nichts anderes erwartet.

Es war alles so unwirklich für mich. Die erzählten mir alle so Horrorgeschichten über mein krankes Baby und es strampelte in meinem Bauch als wenn überhaupt nichts wäre.

Ich weiß heute nicht mehr wie es möglich war diese Zeit so durchzustehen. Es ging einfach.

Am darauffolgenden Montag trafen wir uns dann wieder mit den Ärzten und teilten unsere Entscheidung mit. Sie unterstützten uns sehr und wir vereinbarten uns in regelmäßigen Abständen zu treffen, um zu sehen wie sich alles weiterentwickelt. Und noch etwas aus der Fruchtwasseruntersuchung wurde uns bestätigt. Es war ein Mädchen.

 Meine  Lena !!!!!

 

Dieser Name kam in diesem Moment einfach so. Wir hatten uns im Vorfeld zwar schon ein paar Namen ausgeguckt, aber dieser musste es für mich sein.

Zwei Tage später fuhren wir dann nach Berlin. Es war sowieso geplant und sollte nochmals eine Ablenkung sein.

Ich sprach mit meiner Hebamme Brigitte, die mir versprach in jedem Fall für mich da zu sein, falls es zu einer Totgeburt kommen sollte. Die Vorstellung sie dabei zu haben beruhigte mich sehr.

Ich weiß noch was ich anfangs für Probleme mit meinem Bauch hatte. Ich hatte das Gefühl es jedem sagen zu müssen, dass dies ja keine normale Schwangerschaft sei und dass ich eigentlich meinen Bauch verstecken müsse. Ich wollte mir auch erst keine Schwangerschaftsbekleidung, die ich dringend benötigte, kaufen. Wofür denn?

Michi hat mir zugeredet. Und wenn ich alles nur einen Tag tragen würde, so sollte ich mich doch wenigstens wohl fühlen. Ich bin erst nach und nach aus diesem Versteck wieder heraus gekommen. Doch hinterher habe ich meinen Bauch noch stolzer präsentiert, als ich es mir hätte vorstellen können.

Dann war da diese schreckliche Angst, wenn ich Lena mal länger nicht gespürt habe. Ist sie schon tot? Oder geht es ihr schlecht? Oder wenn sie sich besonders viel bewegt hat : Ist dies vielleicht ein Zeichen von Qual?

Doch auf diese Art und Weise sind wir immer stärker in Kontakt getreten. Viel stärker als ich das aus meiner ersten Schwangerschaft kannte. Hinterher war es oft so, wenn ich mal besonders deprimiert war, dass sie dann gestrampelt hat, als wolle sie sagen : „Mama, mir geht es gut. Mach Dir keine Sorgen.“

Lena muss dieses Band auch ganz stark gespürt haben, denn beim nächsten US war der Perikarderguß an ihrem Herzen, der akut lebensbedrohlich gewesen war, zurückgegangen. Einfach so. Und sie war weiter gewachsen, so wie es zu diesem Zeitpunkt normal war. Es war so als wollte sie leben und geboren werden; sie kämpfte und strampelte fleißig in meinem Bauch herum.

Ach wie beschwerlich habe ich diese Schwangerschaft empfunden. Der Druck auf meinem Bauch war so stark, als würde ich die Last der ganzen Situation auch noch in meinem Bauch herumtragen.

Wie würde es weitergehen? Was würde auf uns zukommen? Die ganzen Sorgen, die ich haben würde um ein krankes Kind. Wie würde Lara darunter leiden? Würde sie es überhaupt schaffen und wenn ja mit welcher Lebensqualität. Wenn sie eine Chance hätte, so sollte sie diese auch bekommen, aber nicht um jeden Preis.Eine gewisse Würde sollte ihr erhalten bleiben.

So wie es aussah würde sie wahrscheinlich einen Schrittmacher benötigen. Wie könnte Lena damit leben?

Dann diese Angst vor der Entbindung per Kaiserschnitt. Dieses Horrorszenario, wenn man mir mein Baby entreißen würde um es medizinisch zu versorgen. Und sie nicht bei mir wäre. Oder diese Angst vor einer Totgeburt, wenn sie es nicht schaffen würde. Ein totes Kind gebären zu müssen. Unvorstellbar! Es war so eine schwere Zeit, aber irgendwie haben wir weitergemacht. So einfach in der Ecke zu sitzen war noch nie meine Art. Mein Kampfgeist war geweckt.

Wir beschlossen daher wie geplant unseren Dänemarkurlaub zu machen. Was konnte schon passieren?

Ich hoffte, dass Lena wenigstens das Rauschen des Meeres kennenlernen konnte. Für den Fall, dass ich keine Kindsbewegungen mehr spüren würde, würden wir eben nach Hause fahren um dort die Geburt einzuleiten. Ich hatte natürlich trotzdem wahnsinnige Angst. Die Ärzte sprachen mir ihre Bewunderung aus, dies alles so durchzuziehen. Hatte ich denn eine Wahl? Für mich gab es keine.

Trotz allem haben wir versucht den Urlaub zu genießen, auch wenn die Sorgen um die kleine Maus so groß waren. Ich konnte Lena das Rauschen des Meeres hören lassen. Es hat ihr bestimmt gefallen.

Ich empfand die Wege zum Strand sehr beschwerlich und anstrengend. Mein Bauch wurde sehr oft hart, doch ich habe mir nichts weiter dabei gedacht.

Wir waren froh diesen Urlaub ohne besondere Vorkommnisse überstanden zu haben und Kraft gesammelt zu haben für das, was uns noch bevorstehen würde.

 

Kurz nach unserem Urlaub hatten wir wieder einen US Termin im Klinikum. Ich ging jetzt auf die 29. Woche zu und wir sprachen nochmals mit den Ärzten über eine Vorgehensweise für den Fall, dass Lena diese Schwangerschaft überleben würde. Uns wurde ganz klar gesagt, dass es trotz allem sehr schwierig werden würde, man aber nichts genaues sagen könnte, wie ihr Zustand außerhalb des Mutterleibes sein würde. Vor der 36. Woche hätte sie jedenfalls keinerlei Chance.

Irgendwie war dieses Gespräch wieder eines von denen, die uns wieder einmal total runtergezogen haben. Vor allem Michi war hinterher fix und fertig und weinte sehr. Er hatte sich zwischenzeitlich scheinbar mehr vorgemacht als ich. Die nächsten Tage stand ich mit diesen ganzen Sorgen wieder ziemlich neben mir.

 

In der darauffolgenden Woche hatte ich wieder einen Vorsorgetermin bei meiner Frauenärztin. Beim Abtasten stellte sie dann fest : Muttermund zu, ggfls. etwas verkürzt. Beim Nachmessen kam dann heraus, dass sich der Gebärmutterhals auf 2,5 cm verkürzt hatte. Normal sind 4-5 cm. Sie verschrieb mir Magnesium und signalisierte mir, dass ich in dieser Schwangerschaft wohl nicht mehr arbeiten gehen würde. Wichtig sei jetzt Ruhe. Ein paar Tage später sollte ich dann zur Kontrolle kommen.

Ich habe nur gedacht, dass dies alles doch nicht wahr sein kann. Wieso kommt jetzt noch so ein Mist hinzu. Ich war total frustiert. Gegen Abend wurde alles so unruhig in meinem Bauch. Lena zappelte so sehr und der Bauch wurde ständig hart. Ich dachte ich halte das alles einfach nicht mehr aus.

Wegen dieser Unruhe bin ich dann auch am nächsten Morgen wieder zu meiner Ärztin gegangen. Das CTG zeigte dann auch Wehen an und die Untersuchung ergab, dass Lenas Köpfchen noch weiter auf den Gebärmutterhals drückte. „ Im Normalfall müsste ich sie jetzt ins Krankenhaus überweisen“ war der Kommentar meiner Ärztin. Letztendlich hatte ich nun die Wahl mich ins Krankenhaus zu legen oder der „Natur“ ihren Lauf zu lassen, wie meine Ärztin es nannte. Sie würde es der Natur überlassen.

Ich rief sofort meinen Mann an, holte ihn kurz danach vom Bahnhof ab und fuhr mit ihm ins Klinikum, um dort nochmal mit den Ärzten zu sprechen.

Sie waren wieder ganz lieb zu uns : „ Es gibt keine richtige oder falsche Entscheidung“.

Fakt war, dass Lena zu diesem Zeitpunkt als Frühchen keinerlei Chance hätte. Die 36.Woche musste erreicht werden. Sollte ich mich für 6 Wochen ins Krankenhaus legen für ein schwerkrankes Kind, dessen Überlebenschancen sowieso ungewiss sind?

Michi und ich mussten uns wieder einmal zusammensetzten um zu überlegen wie es weitergehen soll und waren uns wieder einmal einig. Ich wußte, dass ich zu Hause sowieso keine Ruhe gehabt hätte und versuchen würde mich zu schonen um eine vorzeitige Geburt zu verhindern. Lara würde lange ohne ihre Mama sein und Michi müsste dies alles mit durchziehen. Aber die Tatsache, dass es schwierig werden würde konnte doch nicht zählen. Nein, wir waren uns einig darüber, dass Lena sich so weit durchgekämpft hatte. Sie war so munter in meinem Bauch. Sie wollte geboren werden und vielleicht war es nun an uns unseren Beitrag zu leisten. Also blieb ich direkt im Krankenhaus.

Anfangs erhielt ich nur hochkonzentriertes Magnesium um den Bauch zu beruhigen. Hört sich harmlos an, hat aber starke Nebenwirkungen, vor allem Hitzewellen und das bei unserem Jahrhundertsommer. Es war heftig. Und dann diese Angst. Vor der 36. Woche sollte keine sectio gemacht werden. Dann wäre nur eine Spontangeburt vorgesehen. Das wollte ich auf jeden Fall verhindern. Meine kleine Maus sollte doch wenigstens eine Chance bekommen.

Durch diese ganze Anspannung , vielleicht auch durch das viele Fruchtwasser (normal bei Herzfehlern) bekam ich immer mehr Wehen. Nach 4 Wochen wurde dann der Wehenhemmer Partusisten eingesetzt. Mit heftigsten Nebenwirkungen. Auch dieses Medikament musste immer höher dosiert werden. Das Eigenartige war, dass ich, die ich sonst sehr empfindlich auf Medikamente reagiere, alles recht gut vertragen habe. Es musste halt klappen.

Das hat mir gezeigt, wozu mein Körper, zu dem ich bis dahin ein eher gespaltenes Verhältnis hatte, eigentlich in der Lage ist. Welche Kraft er diesem Kind geben konnte, damit sie weiterhin wächst.

Beim CTG wurden bei mir nur die Wehen gemessen, denn Herztöne hätte dieses Gerät sowieso nicht messen können und selbst wenn, vor der 36. Woche hätten wir sowieso nichts unternehmen können. Aus diesem Grunde habe ich in diesen 6 Wochen auch auf Ultraschalluntersuchungen von Lena verzichtet. Sie hätten mich nur noch nervöser gemacht und ich musste diese Zeit doch irgendwie durchstehen. Was hätten sie denn genützt?

Also haben wir erst nach diesen 6 Wochen wieder nach Lena geguckt. Mein Gefühl sagte mir die ganze Zeit, dass es ihr in meinem Bauch gut geht und dass sie es bis zur Entbindung schafft.

Es waren wieder meine netten Kardiologen dabei. Lenas Zustand war weiterhin stabil, was jedoch nichts daran änderte wie schwierig es werden würde. Aber das wussten wir ja. Sie wurde so auf 2200 g geschätzt. Da jeder weitere Tag für sie wichtig war einigten wir uns darauf zu versuchen die 38.

Woche zu erreichen. Als geplanter Termin für die sectio wurde der 29.09.03 festgesetzt. Das hieß für mich nochmals 2 ½  Wochen liegen. Aber darauf hatte ich mich sowieso schon eingestellt. Ich hatte mittlerweile trotz hoher Dosierung ständig Wehen, der Gebärmutterhals hatte sich auf 9mm verkürzt, aber irgendwie würden wir das schon schaffen. Und wir haben es geschafft.

Ich weiß nicht, ob ich das alles ohne die große Unterstützung von Familie und Freunden durchgestanden hätte. Wir hatten soviel Unterstützung bei Lara und ich wurde im Krankenhaus durch Telefonate, Besuche, Essen usw. bei Laune gehalten. Das hat wirklich gut getan.

Am 29.09.03 war es dann soweit. Lena wurde geholt. Ich war schrecklich nervös und zitterte am ganzen Körper. Während des Kaiserschnitts hörte ich nur irgendwann Geräusche von denen ich vermutete, dass mein Baby nun aus meinem Bauch geholt wurde. Gesehen habe ich nichts. Von Michi erfuhr ich dann, dass Lena schon im Nebenraum von den Kinderärzten und Kardiologen in Empfang genommen worden war. Jetzt nahm ich auch ihr kräftiges Schreien wahr.

Nachdem man mich wieder zugenäht hatte, kam ich in einen Nebenraum und dort mussten wir warten, warten, warten...

Auf Nachfrage hin kam zwischendurch Dr. Neudorf um uns mitzuteilen, dass es Lena soweit gut ging. Die Herzfrequenz lag so bei 55, was uns eher beunruhigte. Sie müsste noch ein wenig versorgt werden. Weg war er wieder.

Nach weiterem Warten, es war mittlerweile über eine Stunde vergangen, wurde es uns zu bunt, zumal uns die Hebamme immer wieder abwimmelte. Ich schickte Michi vor, da ich ja stillgelegt war, dass wir endlich unser Kind sehen wollen. Irgendwann kam er dann wieder und gab mir ein Polaroidfoto. Lena ginge es gut und ich würde gleich zu ihr gebracht. Sie war so süss. Ich fing sofort an zu weinen.

Ich wurde direkt in das Perinatalzentrum (PZ) gefahren, wo Lena in einem Inkubator lag, jedoch nur mit einer Nasensonde versehen.

Mein Baby ! Sie war so hübsch und durch den Kaiserschnitt sah sie auch gar nicht verknittert aus wie die meisten Neugeborenen. Sie hatte die gleichen großen Augen wie Lara und ganz feine Gesichtszüge. Ich war vollkommen begeistert.

Sie weinte zwischendurch ein wenig, ließ sich aber durch Streicheln und Sprechen beruhigen. Sie sah so gar nicht krank aus und bestaunte immer wieder die Lichter über ihrem Bettchen.

 Doch das zeigten uns die Ärzte schon. Nach Ultraschall und weiteren Untersuchungen bestätigte sich die Diagnose der Prenataldiagnostik. Lenas Organe waren seitenverkehrt angeordnet. Der schwere Herzfehler lag wie vermutet vor. Es kam noch eine Engstelle im Aortenbogen hinzu, die schnellstens operiert werden müsste. Die Herzfrequenz konnte durch Medikamente auf 70 gesteigert werden, doch brauchte sie auf jeden Fall einen Schrittmacher.

Für diese erste OP war vorgesehen sie direkt am nächsten Tag nach St. Augustin zu fliegen. Danach könnte man immer nur von OP zu OP weitersehen wie es ihr geht. Michi war total fertig. Hatte er doch immer noch gehofft, dass es vielleicht nicht ganz so schlimm sein würde.

Schön war für uns, dass an diesem Tag meine Eltern, meine Schwägerin Bärbel und meine Schwiegermutter Lena kennenlernen konnten. Nachmittags durfte auch Lara zu ihr und ihr die Spieluhr schenken, die wir für sie gekauft hatten. Sie spielte das Wiegenlied „Schlafe mein Prinzchen“ von Flies. Noch heute zerreißt es mir das Herz, wenn ich dieses Stück höre. Wir haben es Lena so oft vorgespielt und es erinnert mich sehr an diese Zeit.

Da ich ja auf keinen Fall in der Lage war mit Lena zu reisen, sollte mein Schatz mit ihr nach St. Augustin fahren. Ich würde folgen, sobald ich dazu in der Lage wäre. Wir hatten solche Angst, weil wir von nun an getrennt sein würden. Lena sollte irgendwann am nächsten Vormittag verlegt werden.

Am nächsten Morgen fragte ich so gegen 7.30 im (PZ) telefonisch nach, wann Lena denn wohl verlegt werden sollte. Ich wollte sie vor ihrer Abreise auf jeden Fall noch mal sehen. Ich sollte mich nach acht noch mal melden, weil dann die Verlegung mit der Flugstation abgeklärt wäre.

Irgendwann kurz nach acht kam dann mein Michi vorbei. Er war noch so fertig, weil die Trennung von Lara so schlimm gewesen war. Ich war mittlerweile ziemlich nervös, weil ich Angst davor hatte Lena vor ihrer Verlegung nicht noch mal zu sehen.

Also rief ich so gegen 8.20 Uhr nochmal an um nachzufragen, wann sie denn nun verlegt würde.

Auf mein Nachfragen hin gab man mir direkt den Oberarzt des PZ ans Telefon :
Lenas Zustand habe sich seit kurz vor acht eklatant verschlechtert, die Kardiologen seien bei ihr und wären zur Zeit mit ihr beschäftigt...

Ich ließ mich mit meinem Bett direkt rüberfahren. Als wir drüben ankamen standen noch ca. 8-10 Personen um Lena. Wir wurden gebeten im entsprechenden Abstand zu warten. Es war schrecklich.

Ich mußte weinen und hatte solch entsetzliche Angst um mein Baby, wußte ich doch nicht was los war. Nach ca. 10 Minuten kamen dann die Kardiologen zu uns.

Lenas Herzfrequenz war gegen kurz vor acht auf etwa 20 abgesackt, so daß sie reanimiert werden musste. Um das Herz wieder auf eine höhere Frequenz zu bekommen, hatte man ihr einen provisorischen Schrittmacher über die Speiseröhre gelegt. Außerdem war sie an die Beatmungsmaschine gekommen. Der Anblick war schrecklich. Am Tag zuvor hatte sie nur eine Magensonde gehabt, doch jetzt waren da überall Geräte. Von der schlechten Durchblutung war ihre Haut ganz marmoriert. Sie hatte zwei Schläuche durch die Nase, einen zur Beatmung und einen für den Schrittmacher. Da dieser in der Speiseröhre lag, mussten die Stromstösse stärker sein um ihr Herz anzuregen. Dementsprechend wurde der ganze Brustraum mitbewegt. Und dann dieses regelmäßige Ticken. Da man davon ausging, dass ihr das Schmerzen bereitete, bekam sie gleichzeitig Morphin. In diesem Zustand war sie auf keinen Fall verlegungs-, geschweige denn operationsfähig.

Sie musste sich von diesem Zustand innerhalb der nächsten Stunden erholen. Wir blieben bei ihr, streichelten sie und sprachen mit ihr. Das Hauptproblem waren jedoch Lenas Nieren, die nun nicht mehr richtig arbeiteten. Sie hatte kein Pipi mehr gemacht und ihr wurde deswegen ein Katheter gelegt.

Ihr Zustand verbesserte sich kaum.

Wir durften von nun an zu ihr wann immer wir wollten und waren auch nicht an Besuchszeiten gebunden. Außerdem durften nun auch andere Personen als Großeltern und Geschwister zu ihr.

So konnten sie an diesem Tag auch noch meine Schwester Dagmar, meine Freundin Sabine und ein eng befreundetes Pärchen kennenlernen. Das hat uns sehr viel bedeutet.

Alle waren unglaublich nett zu uns. Meine Zimmernachbarin wurde in ein anderes Zimmer verlegt, so daß mein Schatz nun auch im Krankenhaus schlafen konnte um ständig bei mir und Lena zu sein.

Am Abend sprach uns eine Schwester an, dass die Möglichkeit bestünde Lena taufen zu lassen.

Wir waren schon seit Jahren nicht mehr in der Kirche und Lara sollte zwar eine gewisse religiöse Erziehung genießen, es aber mal selbst entscheiden sich taufen zu lassen. Aber würde Lena sich jemals selbst entscheiden können? Mir war es auf einmal unheimlich wichtig, dass sie getauft wurde. Also nahmen wir am nächsten Tag Kontakt zur evangelischen Pastorin auf.

Lena ging es nicht viel besser. Manche Werte hatten sich minimal verbessert, aber die Nierenfunktion war nicht in Gang gekommen. Etwas Pipi vielleicht. Aber alles in allem ging es ihr mehr schlecht. Sie erhielt mittlerweile ca. 10 versch. Infusionen. Hinter ihrem Bettchen türmten sich die Perfusoren mit den entsprechenden Medikamenten.

Wir verabredeten uns für Nachmittags zur Taufe und erhielten die Erlaubnis mehr als 2 Personen mit zu ihr zu nehmen. So kamen dann meine Eltern mit Lara und meine Schwiegermutter vorbei und als wenn es so sein sollte zufällig auch meine Schwester und meine Schwägerin. Wir stellten uns alle um Lena auf und nahmen uns an die Hände. Die Pastorin hielt eine für diese Umstände wirklich schöne Taufe ab. Vor allem Lara wurde sehr schön eingebunden. Als Lena getauft wurde öffnete sie sogar die Augen. Mein Vater hat dies alles in Fotos festgehalten und dafür bin ich ihm sehr dankbar. Anschließend haben wir uns noch auf mein Zimmer begeben und saßen noch eine Weile bei Kaffee und Kuchen zusammen. Alles hatte – obwohl die Situation so entsetzlich war – dennoch einen feierlichen Rahmen.

An diesen ganzen Tagen hatten wir natürlich diverse Gespräche mit verschieden Ärzten in denen zum Ausdruck gebracht wurde wie schlecht es um Lena stand.

Am Donnerstagmorgen führten wir dann ein für uns sehr entscheidendes Gespräch. Neben der sehr schwierigen Situation mit dem Herzen, sah es auch um die Nierenfunktion sehr schlecht aus. Ob und wann diese wieder in Gang kommen könnte, war nicht auszumachen. Auch konnte nicht gesagt werden, welche Schäden der Anfall von Dienstag am Gehirn angerichtet hatte. Es stand sehr schlecht um sie. Sowohl wir als auch die Ärzte waren uns einig darüber, dass wir sie nicht jetzt schon aufgeben sollten, aber diese Situation auch nicht mehr zu lange aufrecht erhalten sollten. Eine Oberärztin brachte uns hierbei auch nochmal auf eine andere Ebene. Sie sagte, dass Eltern – ganz losgelöst von

den ganzen medizinischen Werten- oftmals ein ganz gutes Gespür dafür hätten, was sie ihrem Kind noch zumuten könnten und was nicht. Wir einigten uns zu diesem Zeitpunkt darauf das Wochenende abzuwarten. Eine Dialyse kam nicht in Frage und auch keine erneute Reanimation.

Wir waren total verzweifelt.

An diesem Tag hat sich Lena irgendwie von uns verabschiedet. Vielleicht wollte sie uns auch ein Zeichen geben. Dienstag und Mittwoch hatte sie – trotz des Morphins – noch auf uns reagiert. Doch jetzt war da gar nichts mehr. Die Anstrengung war ihr anzusehen. Sie hatte immer stärkere Wassereinlagerungen, vor allem an Augen und Bauch. Es zerriß mir das Herz und meine Hoffnung, dass Lena sich erholen könnte, ging mehr und mehr verloren.

Es kam immer mehr das Gefühl in mir auf, dass ich gar nicht mehr wollte, dass sie noch nach St. Augustin verlegt wird. Sie quälte sich so sehr. In unseren gemeinsamen Gesprächen stellten Michi und ich fest, dass wir wieder einmal einer Meinung waren. Das wollten wir für unser Baby nicht. So weit hatten wir es gar nicht kommen lassen wollen. Das ganze Wochenende wollten wir gar nicht mehr abwarten.

Am Freitagmorgen besprachen wir das dann mit unserem Kardiologen. Wir einigten uns darauf noch den Samstag abzuwarten und wenn sich bis abends nichts getan hat die Geräte abzuschalten. Diesen Tag brauchten wir einfach noch. Im Verlauf des Freitags teilten wir unsere Entscheidung nach und nach unserer Familie mit und wurden unterstützt so gut es ging.

Dann kam der Samstag, der 04.10.2003.

An diesem Tag sollten nur noch einmal Michaels Schwester aus Bielefeld und mein Bruder, der erst am Abend zuvor aus dem Urlaub gekommen war, zu uns kommen. Für beide mit dem Bewußtsein, dass sie nur dieses eine Mal Lena sehen würden und sie danach tot sein würde.

Es war alles ziemlich dramatisch. Hinzu kam, dass Micha auch äußerst dramatische Telefongespräche mit seiner Mutter hatte, die unbedingt noch mal zu Lena wollte um ihr eine Kette mit einem Schutzengel zu schenken. Doch das hätte uns ganz ans Ende unserer Kräfte gebracht, wo wir doch das Schlimmste noch vor uns hatten. Es war ziemlich abartig. Wir hatten mit den Schwestern vereinbart so gegen 19 Uhr diesen schweren Schritt zu tun, weil es zu dieser Uhrzeit wieder ruhiger würde. Wir lebten in dem Bewußtsein, dass sie dann wahrscheinlich direkt sterben würde. Es hatte irgendwie etwas von einer Einschläferung, obwohl es natürlich keine war.

Nachmittags ließen wir uns nochmal Lara bringen um ihr zu erklären, dass wir nicht wie erwartet mit Lena nach Hause kommen würden. Es war alles so entsetzlich schwer.

Gegen 19 Uhr sind wir dann ein letztes Mal zu Lena gegangen. Es war der schwerste Weg meines Lebens.

Wir schauten uns Lena noch einmal ganz in Ruhe in ihrem Inkubator an. Dann verständigten wir uns mit der diensthabenden Schwestern und der Stationsärztin, dass es losgehen soll.

Mein Bett war schon in einen Nebenraum geschoben worden, in den wir uns mit Lena zurückziehen konnten.

Zuerst wurden ihr sämtliche Infusionen bis auf das Morphin abgestellt. Wir wollten sicher sein, dass sie keine Schmerzen hat. Als nächstes wurde der Schrittmacher entfernt und zum Schluß das Beatmungsgerät. Sie sollte in dieser Stunde frei von irgendwelchen Geräten sein.

Dann wurde uns unser Baby in unsere Arme gelegt. Das erste Mal, dass ich Lena in meinen Armen spüren durfte.

Durch diese ungewohnte Bewegung bäumte sie sich noch einmal richtig auf, riß die Augen auf, um dann wieder in sich zusammenzufallen.

Ich trug sie in den Nebenraum und setzte mich mit ihr auf mein Bett. Micha daneben. Dann wurden wir alleine gelassen. Wir hielten sie in den Armen. Ich hielt ihre Hand und sprach mit ihr. Michi streichelte ihr kleines Köpfchen. Sie war so schwach und sah so geschunden aus.

Bald hast Du es überstanden kleine Lena.

Ab und an setzten einzelne Atemzüge mit Schnappatmung bei ihr ein auf die man uns Gott sei Dank vorbereitet hatte. Dadurch war es nicht so erschreckend.

Ich hatte solche Angst davor, dass es lange dauern könnte, wußte ich doch nicht, ob ich hierfür noch genügend Kraft hätte.

Ihre Hautfarbe hatte sich rasch dunkel verfärbt und ihr Atem war sehr schwach.

 

Irgendwann spürten wir dann, dass es vorbei war.

Wir hielten sie ganz fest. Es hatte vielleicht 10 Minuten gedauert. So schwach war sie gewesen.

Nach einiger Zeit kam die Ärztin rein um sie abzuhören und bestätigte uns Lenas Tod. Sie entfernte das Morphin und ließ uns dann wieder allein.

Wir konnten uns in Ruhe von ihr verabschieden. Haben sie in den Armen gehalten, fotografiert, Abdrücke von Fuß und Hand gemacht, ihr Härchen abgeschnitten. Ich wollte so viele Erinnerungen wie möglich haben.

Dann haben wir sie gebadet, eingeölt und schön angezogen und eine ganze Zeit mir ihr dagelegen und gedöst. Sie sah so friedlich aus.

Irgendwann wurde mein Michi unruhig und fragte wieviel Zeit ich noch brauchen würde. Er hatte keine Kraft mehr.

So viel Zeit wie ich gebraucht hätte gab es wahrscheinlich gar nicht. Ich merkte, dass der schwerste Moment gar nicht Lenas Tod war, sondern der Moment sein würde indem ich sie wieder abgeben würde. Ich trug sie noch eine ganze Zeit im Zimmer umher und merkte immer mehr : Wenn Du sie nicht bald abgibst, dann schaffst Du es gar nicht mehr.

So haben wir schließlich die Schwester gerufen. Eine unserer Lieblingsschwestern hatte nun Dienst. Ihr konnte ich Lena anvertrauen.

Wir gaben ihr noch ihren Teddy, die Spieluhr, einen kleinen Engel, den sie zur Taufe bekommen hatte und ein weiteres Kuscheltier, dass meine Freundin Anja ihr geschenkt hatte mit auf den Weg. Hiermit sollte sie begraben werden.

Danach zogen wir uns auf unser Zimmer zurück. Nein, vorher fotografierte Micha noch den Eingangsbereich zum PZ. Es war ein schmaler langer Flur. Für ihn stand dieser Flur immer für den langen und schweren Weg, den wir gegangen waren und noch gehen mussten.

Am nächsten Morgen sind wir dann nach Hause gefahren.

Wir haben Lena noch aufbahren lassen, um sie noch ein paar mal zu sehen. Ich brauchte das und so konnte meine Schwiegermutter ihr auch noch ihre Kette bringen, damit sie einen Schutzengel auf ihrer Reise hat. Außerdem hatten so auch noch andere nahestehende Personen die Möglichkeit sie zu sehen. Vor allem diejenigen, die sie nicht mehr lebend kennenlernen konnten. Wider Erwarten haben viele hiervon Gebrauch gemacht.

Vor der Beisetzung haben wir Lenas Sarg dann gemeinsam mit dem Bestatter verschlossen. Sie fand im engsten Kreise statt. Nur Eltern, Geschwister und enge Freunde. Es gab keinen, der an diesem Tag nicht geweint hat. Zum Schluß haben wir von dem Organisten noch mal das Wiegenlied ihrer Spieluhr „Schlafe mein Prinzchen“ spielen lassen. Für mich war es Lenas Lied.

 

An diesem Tag erschien auch ihre Todesanzeige. Mir waren diese Worte am Morgen nach ihrem Tod gekommen :

 

 

L e n a

 Du bist auf diese Welt gekommen

um uns kennen zulernen und zu verzaubern.

Du hast Deinen Platz in unser aller Herz gefunden.

Wir werden Dich nie vergessen

 

 

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